Die Gespräche in unserer Gesellschaft reißen nach meiner Wahrnehmung immer schneller ab: Nicht nur wegen der knapper werden Zeit, auch wegen der geringer werdenden Sicherheit im Umgang miteinander: Auseinandersetzen heißt gehen?
Wem traue ich, wem trauen die Anderen?
Wir hatten viele gute Jahre und freie Kulturen geschaffen, in denen die gesellschaftlichen Dialoge leichter stattfinden konnten, zumindest in bestimmten Szenen, die an Abrüstung, Friedenspolitik und soziale Gerechtigkeit glauben wollten. Doch dann wurde der Druck wieder aufgebaut, die Freude und Sicherheit zerstört.
Dazwischen gab es noch immer rechthaberische und nun wieder mehr ewig-gestrige Figuren, die alte Nazi-Sprüche eher leise beisteuerten, heute mischen sich die rechten Alten mit neuen Ungläubigen, die weder den vorgeschriebenen 11. September noch die NATO-Kriegs- und Putin-Hetze glauben wollen, aber sich auch von Flüchtlingen und Vaterlands-Verrätern bedroht fühlen.
Die „geistig-moralische Wende“, mit der Helmut Kohl die sozial-liberalen Zeiten beendete, hat die Konkurrenz erhöht, die globale Ausbeutung angetrieben und den Banken eine freie Spiel-Bank mit allen Ressourcen des Lebens geschaffen, gefeiert mit den Kanzlern.
Die Opposition fragmentierte sich weiter, in Parteien der Karrieren und Interessen, die Lobbyisten haben die Parlaments-Pflege vollständig übernommen, die Kriegs-Nachrichten sind durch die NATO bereitgestellt, die selbst darin kaum mehr vorkommt.
Linke befürchten eine Querfront der Friedenskräfte, Semitismen scheinen die Palästina-Kriege zu rechtfertigen oder alle Dialoge darüber unmöglich zu machen.
Gesellschaftsgespräche ohne Tabus neu starten? Wer könnte das?
Mit Forumtheater hatten wir Jahre lang vor allem die Bildungsarbeit ausgerüstet, aber für gesellschaftliche Dialoge bräuchte es anwendende Gruppen oder verantwortende Träger.
Ein Blick von heute durch die Jahrzehnte des Forumtheater im deutschsprachigen Raum
Gruppen bilden?
Die Bildung einer arbeitsfähigen Gruppe für Forumtheater ist – im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten – eine Kunst geworden, denn die Themen im Vordergrund der meisten Beteiligten wechseln heute schneller, als ein Forumtheater- Abend auf der Bühne steht.
Nun habe ich wieder einmal die Möglichkeit, länger mit einer Gruppe von Studierenden zu arbeiten, und ich hoffe, dort einige Projekte mit den Studierenden zu starten, die sich dabei in den Vorstellungen begegnen können.
Szenen erarbeiten
Nach den Lockerungen und einer knappen Vorstellung, nach Klärung von Arbeitszeiten und Raum-Nutzung, erstellen wir erste Bilder von erlebtem Ärger, Druck, Unrecht.
Die Methoden, Bilder und später Szenen zu erstellen, bauen allmählich das Vertrauen auf, das zu intensiverem Austausch, auch der ausgelösten Gefühle in der Szenen-Kleingruppe anregt. Sie können auch eine Forumteater- Aufführung mit dem Publikum einleiten.
Ärger und Unrecht zulassen
In Gruppen die erlebten Themen der Teilnehmenden zu Szenen gestalten:
Zuerst das Original einer Szene als Kern-Bild, dann aber als Forumszene für ein Publikum als ganze ausführliche Spiel-Szene erlebbar darstellen, verschiedene Proben-Techniken zwischen „Western“ und „als Tiere“ führen uns zu einer ausgebauten Szene für eine prägnante und sichere und Aufführung vor einem größeren Publikum.
Reaktionsformen
Die Szenen einem Publikum vorstellen, das „STOP“ rufen kann und neue Lösungen findet, begleitet von einer JOKER-Figur, die diesen Dialog mit dem Publikum führt:
Joker brauchen eine einladende, Sicherheit vermittelnde und wertschätzende Art der Kommunikation, die gut mit einfachen gemeinschaftlichen Übungen auch mit dem Publikum vorzubereiten ist.
Vernunft und / oder Humor
Manche Arbeiten am Tabu lassen uns bei der Vorstellung einer Situation oder Szene leicht erschrecken und erstarren, dann braucht es Lösungen, die alle bestehenden gedanklichen Ordnungen durchbrechen: Humor als Lösungsmittel ist in seiner Machart nicht allen vertraut, wird meist als persönliches Charisma eingeschätzt: Er ist in allen seinen Formen erlernbar, die persönlich passendste Form ist durch gemeinschaftliche Anleitungs-Arbeit zu finden und in die jeweilige Arbeitssituation zu entwickeln.
Augusto Boal und seine Situationen
Ende der 70er Jahre kam Augusto Boal durch internationale Proteste aus dem brasilianischen Gefängnis frei: Nach einer Auslandsreise war er bei der Heimkehr von der Militärregierung Brasiliens inhaftiert worden, weil er „im Ausland sein Vaterland Brasilien verleumdet hätte: In Brasilien würde gefoltert werden“, was er nun in der Folter gestehen sollte …
Auch Peter Becker und die Zeitschrift „Theater heute“ hatten die Kampagne für ihn im deutschsprachigen Raum organisiert, in Frankreich und den portugiesisch-sprechenden Ländern gab es wohl entsprechenden Einsatz der jungen politischen Schauspielenden-, Theater- und Regisseur-Szene.
Vorgeschichte
In den verschiedenen südamerikanischen Ländern herrsch(t)en in den 50er und 60er Jahren zwischen demokratischen Phasen immer wieder als CIA-Vasallen die verschiedenen Familien der Großgrund-Besitzenden, die gegen demokratische Rechte und Land-Verteilung mit europäischer und besonders bayrischer Waffenhilfe vorgehen.
Die Theaterleute erleben Zensur, auch alter griechischer Stücke, (bringen Sie mir diesen Aischylos“!) und greifen auf die Erfahrungen von Exilanten des deutschen Faschismus zurück, die nach Verboten der Arbeiter-Theater auf unsichtbare Methoden der Aufklärung zurückgriffen.
Brecht und die Lehrstücke
Zuerst war noch das Denken von Bert Brecht und seine Forschung in Richtung eines beteiligten Publikum erprobt worden, die Übertragung seiner Gedanken in der Lehrstück-Arbeit, die als neue Form der Schauspiel-Ausbildung die alten Systeme des Auswendig-Lernens und des illustrierten Vortrages ablösen sollte: Die Schauspieler sollten in ihrer eigenen Überzeugung spielen und auftreten.
Erwin Piscator als Theaterpädagoge in New York
Die früher deutsche Rabbiner-Tochter Judith Malina beschreibt in ihrem Arbeits-Tagebuch die Arbeit mit Erwin Piscator in New York, der eigentlich eine Arbeit als Dramaturg suchte, aber mit neuem Schauspiel-Unterricht zu überleben lernte.
Die neuen Formen des deutschen Theaters kurz vor der faschistischen Machtübernahme gingen mit den Entwickelnden ins Exil: Unsichtbare Aktionen wurden „Unsichtbares Theater“.
Nach seiner Rückkehr hatte er als Kommunist im Nachkriegs-Westdeutschland keine wirklichen Chancen mehr: Als Exil-Kommunist blieb Erwin Piscator eine „schwierige Marke“, keinem Stadttheater als Leiter oder Dramaturg zu vermitteln, denn es sollte eine unpolitische Zeit herbei gespielt werden.
Paulo Freire und die Kritische Theorie

Schon in den 70er Jahren begegneten mir die ersten hektographierten Blätter mit den übersetzten Texten des kleinen brasilianischen Anwalts, der sich im Kampf gegen die Armut in die Pädagogik begab:
Die Pädagogik der Unterdrückten, von den verschiedenen Reform-Pädagogen inspiriert, lehrte die Studierenden das gemeinschaftliche Forschen und entwickelte die Methoden der Alfabetisierung, die später, in seiner Zeit im Exil in der Schweiz beim Lutherischen Weltbund, zur großen Bildungs-Welle für die französisch-sprachigen Länder Afrikas werden sollte.
Auch in Deutschland regte er sehr viele aufgeschlossene Menschen im pädagogischen Bereich an, doch die Hochschulen waren noch in fester Hand der Anti-Kommunisten, die sich einen befreiungstheologisch-katholischen Lernkurs nicht vorstellen wollten.
Die Befreiungstheologie war aber nur eine der Ausformungen der Kritischen Theorie: In den südamerikanischen Ländern ist die Wirkung der „Frankfurter Schule“ und ihrer anarchischen Vorgänger schon durch die Exilanten wie Augustin Souchy im Aufbau der freien Arbeiter-Unionen und Gewerkschaften vermittelt worden …
In den Reihen der katholischen Kirche gab es auch die Gruppe München, die als Pax Christi in der Friedensbewegung aktiv war und Augustin eingeladen hatte, aus seinem Leben zu erzählen …
Augusto Boal kehrte nach Brasilien zurück
1988 war die Demokratisierung in Brasilien so weit fortgeschritten, dass Augusto Boal zurück nach Rio de Janeiro gehen konnte, um dort neue Projekte zu starten, wie die „Volkstheater-Fabriken“.
Nach dem die Finanzierung wegen Regierungswechsel aber gescheitert war, stand die neue Gruppe dort vor einem Aus. Bei einer Anfrage der Arbeiterpartei PT für die Gestaltung des Wahlkampfes folgte die Frage an Augusto Boal, ob er bereit wäre, als Kandidat für das Parlament der Stadt Rio de Janeiro für die PT aufzutreten.
Zuerst wollte er nicht, da er noch internationale Workshop-Verpflichtungen eingegangen war, doch dann wurde ihm vermittelt, dass er seine ganze Gruppe als Mitarbeitende im Mandat anstellen könnte und neue Projekte entwickeln kann.
So entstand das Legislative Theater, und seine Berichte in Toronto dazu im Mai 1997 inspirierten mich, ihn nach München im Oktober 1997 zu diesem Thema zu einem Europäischen Treffen einzuladen.
Die Tagung und Berichte, Artikel von Augusto Boal im Buch „Legislative Theater“ und in meiner Übersetzung in
Augusto Boal: Legislative Theatre, Using performance to make politics, routledge 1998
und mehr dazu auf meinen alten Seiten, gesichert im Wiki gemeinschaftlich-forschen: Fortbildungen und Legislatives Theater bis 1996 / 97 sowie 7kapitel und legislativervortrag (Seiten werden DEZ 2016 abgeschaltet)
Symbolism in Munich und Wie die Methode des Legislativen Theater nach Europa kam
Ein Workshop mit Augusto
in Linz 2004
Eine Seite der Berliner Kollegen
Wiki zum Forumtheater
Internationale Treffen und Austausch
Rio in Brasilien, Toronto in Kanada 1979, Wien: Austausch unter KollegInnen, Methoden, Workshops, Feste …
Bewegungen und Träger hierzulande, KollegInnen
Berlin, Köln, Bielefeld, Lingen, Graz und Linz, Salzburg, Wien, Rotterdam, … Marburg, Potsdam und Halle,
Italien, Schweden, Großbritannien, Frankreich, in der Schweiz,
da das Leben allein mit der theaterpädagogischen Arbeit kaum möglich ist und ein wirklich passender Bildungsträger nie gefunden wurde, ist die Existenz der Einzelnen eher mit anderen Bildungs- und therapeutischen Arbeiten gesichert,
heute
An zwei Hochschulen, die durch die Reformen und die stoff-trainierten Studierenden zu gehobenen Berufsschulen geworden sind, in der Ausbildung zur Sozialen Arbeit bringt Forumtheater eine breitere Anlage, die eigene Rolle zu reflektieren, die gewohnte Pädagogik der Vorschriften zu betrachten, neue Versionen der Opfer-Täter-Zuschreibungen zu untersuchen …
Projekte an Schulen hatten früher immer nur stattgefunden, wenn Notlagen und kreative Lehrkräfte die Situationen zugespitzt hatten, denn im regulären „Betrieb“ sind bisher in Bayern weder Finanzen, noch Zeit, noch Ideen, eine Forum-Szene vorzubereiten und in der großen Runde zu bearbeiten.
Das hatte es in einzelnen Situationen durchaus gegeben: Zum Thema Aids und Prävention in einer großen Augsburger Fachoberschule mit fast tausend SchülerInnen gegen Ende der 1980er Jahre, dann noch etliche Integrations- und Migrations-Projekte, zu Inklusion und zu Gewalt, nach ersten Übergriffen in Schulen …
mit Inhalten der Teilnehmenden von Drogen bis Kinderarbeit, von Kleider-Bewusstsein bis Landgrabbing.
Geflüchtete, Kulturen
interkulturelle Verständigung, Sprachlernen,
NATO, Finanzkrisen und Kriege
Terror-Angst und Sprachlosigkeit
Rechte Hetze und Lügenpresse
Linke Hoffnungen und Träume
unpolitisch bleiben? Aufklärung
All die Jahre
Der Beruf des Theaterpädagogen existierte 1981 noch nicht in den Akten und Listen von Arbeitsagenturen und Künstlersozialkasse, doch gab es inzwischen eine breite Szene von Theaterfestivals, neuartigen Schauspiel-Fortbildungen und den internationalen Austausch von Gruppen, wie Bread & Puppet, polnischen Grotowski-Schülern und Clown-Schulen.
Aufbruch im Theater Ende der 70er Jahre
In Deutschland herrscht heute wieder weitgehend das Autoren- und Literatur-Theater. Das war auch in den 70er Jahren so: Bis auf manche besonderen Stücke ging es um das „aristotelische Happy-End“, wie es Augusto Boal beschrieben hatte,
doch gab es Aufbrüche wie das Prozessionstheater, das „unmittelbare Theater“, …
Friedensbewegung und Notstandsgesetze
hatten die politische Szene schon polarisiert,
Anti-Atom-Bewegung und Gewaltfreie Aktion
wuchsen mit dem Streit um die Endlager und mit Unterstützung der internationalen Bewegungen gegen Uran-Abbau und ähnliche Grossprojekte jener Zeit.
Umwelt und Grüne wie Linke Bewegungen
brachten in Verbänden und Vereinen dann eher eine Stabilisierung der jeweiligen Strukturen, die mit Lobby-Arbeit und Parlamentarismus die Kraft der Bewegungen kanalisierten, oft zu Gunsten persönlicher Karrieren und mit dem Verlust der unruhigen Kräfte im Umfeld.
Ost-West-Friedensarbeit und politische Bildung
Die grün-nahen Vereine und Stiftungen boten über Jahre die Möglichkeit zu Aus- und Fortbildung, eine frühe Ost-West-Begegnung ab 1985-87 fand in Ungarn mit 14-tägigen Treffen im Zeltlager unter der ungarischen Benediktiner-Abtei Pannonhalma statt, 1988 dann in den polnischen Masuren, weil für Ungarn keine Ost-Visa mehr zu bekommen waren.
Theater der Unterdrückten war für die Friedensbewegung im Osten ein klarer Begriff, und das unsichtbare Theater gab es in der Strassenbahn und im Foyer der Oper. Die Seminare, auf Einladung von Gruppen und der Krankenhaus-Seelsorge, sind durch die Staatssicherheit nur sehr ungenügend dokumentiert.
„Professionalisierung“ im Neo-Liberalismus zwischen Kunst & Markt
Die Bildungsarbeit in den Bewegungen wurde von der grünen Partei dann selbst übernommen, und in ewige Vortrags- und Podiumsdiskussionen verwandelt.
Selbsthilfe und Selbstorganisation, self-care, flux-Gruppen
Um die Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise, die AG SPAK, in der sich die Drogen- und die emanzipatorische Behinderten/ Krüppelbewegung, der Arbeitskreis Bewusstseinsbildung (Freire-AK), … und bis heute der TAKAÖ, Theorie-Arbeitskreis Alternative Ökonomie austausch(t)en, mit Verlag und zahlreichen anerkannten Publikationen im sozialwissenschaftlichen Bereich, war Forumtheater immer eine exotische Methode geblieben, da die Theorie und das Wort dort höher bewertet wurden.
Da fehlte eine konsequente Nacharbeit der Eingriffe des Publikums und der Arbeit des Jokers, die Aktions-Entwicklung aus der szenischen Darstellung.
Persönlichkeits-Politiken, Gestalt-Therapie und Ausbildung
Die Themen der Teilnehmenden gingen immer mehr in die persönlichen Bereiche, der Schritt in die öffentliche und politische Aktion wurde immer schwerer,
Überleben in den internationalen Krisen:
Mit Theater auf die persönlichen Ängste und Befürchtungen reagieren?
Solidarität und Wissen zu Bewegungen und Widerständen
In anderen Kulturen
Neue Bewegungen und Kommunikationen
Art of Hosting, Aufstellung, Netzwerk-Gemeinsinn, Zukunftswerkstatt
Gesellschafts-Gespräche und Bürgerbeteiligung, Gemeinwohl-Ökonomie